aka-Lesekreis mit Isabel Kranz und Maren Mayer-Schwieger: Pflanzen und Umwelten: Annie Francé-Harrars Bodenökologie zwischen Science und Fiction

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Lesekreisleitung: Isabel Kranz und Maren Mayer-Schwieger

Gast: Thomas Brandstetter

Organisation: aka-Arbeitskreis Kulturanalyse

Dieser Lesekreis widmet sich dem vielschichtigen Werk der Biologin, Schriftstellerin, Humusaktivistin und Erfinderin Annie Francé-Harrar (1886-1971), deren Texte größtenteils in Vergessenheit geraten sind oder allenfalls im Zusammenhang mit ihrem Ehemann, dem in Wien geborenen Botaniker Raoul Heinrich Francé (1874-1943), Erwähnung finden.1 Dabei hat Francé-Harrar nicht nur eine bedeutende Rolle bei den Humusforschungen gespielt, die bis zu dessen Tod meist unter dem Namen ihres Mannes publiziert wurden. Vielmehr hatte sie selbst seit den frühen 1910er-Jahren erfolgreiche Bücher in so unterschiedlichen Genres wie Reisebericht, Gelehrtenbiografie oder Science-Fiction veröffentlicht, etwa den von Hermann Bahr hochgelobten dystopischen Roman Feuerseelen, eine Art Climate Fiction avant la lettre.
In diesem Lesekreis diskutieren wir eine repräsentative Auswahl aus Francé-Harrars vielfältigem Werk. Dabei soll es nicht allein um eine Wiederentdeckung ihrer Bücher gehen. Vielmehr wollen wir erkunden, was ihre Texte uns heute noch sagen können. Denn sowohl ihre dystopischen Entwürfe als auch die Forschungen zur Bodenökologie, die Francé-Harrar nach dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn, Österreich und insbesondere Mexiko betrieb, erscheinen aus heutiger Sicht besonders aktuell: Das Problem menschengemachter Umweltschäden, wie Bodenerosion oder Dürre, Extremwetterereignisse und Hungersnöte, die in ihren Arbeiten zentral sind, ist uns in der Zeit von Anthropozän und Klimakatastrophe nur allzu vertraut. Ihr Werk lässt sich daher aus heutiger Perspektive auf neue Anknüpfungspunkte und Kontextualisierungen hin lesen: Changierend zwischen Science und Fiction und getragen von einer Ethik des verantwortungsvollen Lebens mit der Erde – besonders deutlich wohl in ihrem populären Sachbuch Die letzte Chance. Für eine Zukunft ohne Not von 1950 –, stellt sich die Frage nach Anschlüssen und Differenzen zu spekulativen Fabulierungen und einer Ethik der Sorge, wie sie jüngst bei Donna J. Haraway, Ursula K. LeGuin oder auch Anna L. Tsing zu lesen war.
Dabei soll nicht aus dem Blick geraten, dass insbesondere die frühen Gemeinschaftsarbeiten mit Raoul und die gemeinsamen Reiseberichte aufgrund der dort vertretenen Ansichten durchaus problematisch zu sehen sind, leisten sie doch rassistischen und kolonialistischen Positionen ebenso Vorschub wie den Vorstellungen rechter Ökologien.
Die Konstellierung mit Positionen der Feminist Science Studies und ein genauer Blick auf das Wechselverhältnis von Fiktion und Wissensproduktion verspricht somit nicht nur neue Einblicke in das Werk von Annie Francé-Harrar, sondern davon ausgehend in einen Bereich der Ökologie des 20. Jahrhunderts, der produktive Anstöße für heutige ökologische und politische Debatten bereit hält.

Lesekreis-Leiter*innen:

Isabel Kranz ist ab September 2022 Gastprofessorin im Bereich Kulturwissenschaft der Kunstuniversität Linz sowie Lektorin am Institut für Germanistik der Universität Wien. Zurzeit bereitet sie eine Monographie unter dem Arbeitstitel Literarische Botanik: Pflanzen als Wissensfiguren 1700–2000 vor sowie gemeinsam mit Joela Jacobs das umfassende Nachschlagewerk Pflanzen: Kulturwissenschaftliches Handbuch.
https://www.germ.univie.ac.at/isabel-kranz

Maren Mayer-Schwieger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Medientheorien der Kunstuniversität Linz. In ihrem Dissertationsprojekt Der andere (im) Oikos. Eine Genealogie ökologischen Wissens erkundet sie die Geschichte(n) und Praktiken ökologischen Wissens. Darüber hinaus forscht sie zu Umweltästhetik, Sensortechnologie und Kartoffelkäfern. https://kunstuni-linz.at/Team-Lehrende.10655.0.html

Als Experte für kristalline Aliens und Francé-Harrars Science Fiction ist Thomas Brandstetter zu Gast.

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